Herzgeschichten - MeineMitte - Engelkerzen

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Herzgeschichten

Weihnachten 2018

"Das Land der Herzen"

Es was einmal zu einer Zeit, sie könnte auch jetzt sein, an einem Ort, es könnte auch hier sein, da begab es sich, dass die Menschen einen transparenten Körper hatten, der dergestalt war, dass man ihre Herzen sehen konnte und nur die Herzen. Sie waren groß, klein, elegant, aber auch zierlich, fein, pulsierten kräftig, zart, schnell, aber auch langsam, sanft, leuchteten in kräftigem Rot von hell bis dunkel. Einige waren jung und, klar, alte Herzen gab es auch.

In diesem Land gab es einen jungen Mann, kräftig, ja athletisch von Statur, der hatte ein besonders eindrucksvolles Herz und er konnte nicht umhin, damit vor seinen Mitmenschen zu prahlen.
Prompt versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn und sie alle bewunderten sein Herz, denn es war perfekt. Es gab keinen Fleck oder Fehler in ihm. Ja, sie alle gaben ihm Recht - es war wirklich das schönste Herz, das sie je gesehen hatten. Der junge Mann war sehr stolz und prahlte noch lauter über sein schönes Herz.
Da gesellte sich ein alter Mann zu ihm.
Der Junge fragte: "Was willst Du hier? Mach dich vom Acker Alter und störe mich nicht!", dann schaute er auf des alten Mannes Herz, sah dessen Zustand und lachte: "Du musst scherzen", sagte er, "dein Herz ist mit meinem nicht vergleichbar. Meines ist perfekt und deines ein Durcheinander aus Narben und Furchen.
"Ja", sagte der alte Mann unbeeindruckt von den Worten des jungen Mannes, "Deines sieht perfekt aus, aber ich würde niemals mit Dir tauschen wollen. Jede meiner Narben steht für einen Menschen, dem ich meine Liebe geschenkt habe. Ich reiße ein Stück meines Herzens heraus und reiche es ihnen, und oft geben sie mir ein Stück ihres Herzens zurück, das in die leere Stelle meines Herzens passt. Aber weil die Stücke nicht genau sind, habe ich einige raue Kanten, die ich sehr schätze, denn sie erinnern mich an die Liebe, die wir teilten. Manchmal habe ich auch ein Stück meines Herzens gegeben, ohne dass mir der andere ein Stück seines Herzens zurückgab. Das sind die leeren Furchen. Liebe geben heißt auch ein Risiko einzugehen. Auch wenn diese Furchen schmerzhaft sind, sie bleiben leer aber sie erinnern mich an die Liebe, die ich für diese Menschen empfinde ... und ich hoffe, dass sie eines Tages zurückkehren und den Platz ausfüllen werden. Erkennst du jetzt, was wahre Schönheit ist?"

Der junge Mann stand still da und Tränen liefen über seine Wangen. Er ging auf den alten Mann zu, griff nach seinem perfekten jungen und schönen Herzen und riss ein Stück heraus. Er bot es dem alten Mann mit zitternden Händen an. Der alte Mann nahm das Angebot an, setzte es in sein Herz. Dann nahm er ein Stück seines alten vernarbten Herzens und füllte damit die Wunde in des jungen Mannes Herzen. Es passte nicht perfekt, da es einige ausgefranste Ränder hatte.
Der junge Mann sah sein Herz an, nicht mehr perfekt, aber schöner als je zuvor, denn er spürte die Liebe des alten Mannes in sein Herz fließen.

Sie umarmten sich und gingen jeder seines Weges.

Narben auf dem Körper bedeuten, dass man gelebt hat!
Narben auf der Seele bedeuten, dass man GELIEBT hat!

Weihnachten 2019

Nicht ein einziges!
Der kleine Karl war ausgesprochen schüchtern und zurückhaltend. Eines Tages aber kam er von der Schule nach Hause und eröffnete seiner Mutter, dass er jedem seiner Mitschüler ein Nikolaussäckchen basteln wolle. Sie stöhnte innerlich auf. 'Wenn er doch bloß nicht auf diese Idee gekommen wäre!', dachte sie, denn sie hatte die Kinder des Öfteren auf dem Heimweg von der Schule beobachtet. Ihr Karl war immer allein für sich geblieben, während die anderen lachten und sich aneinander einhakten und miteinander schwatzten. Karl war immer der Außenseiter. Trotzdem entschloss sie sich, ihrem Sohn zu helfen. Sie kaufte Papier, Klebstoff und Stifte und drei Wochen lang war Karl Abend für Abend konzentriert damit beschäftigt, fünfunddreißig Nikolaussäckchen zu basteln.
Am Morgen des Nikolaustages war Karl fürchterlich aufgeregt. Er legte seine Säckchen sorgfältig auf einen Stapel, steckte sie in einen Beutel und rannte zur Tür hinaus. Seine Mutter macht sich unterdessen daran, ihm seine Lieblingsplätzchen zu backen. Sie wollte sie ihm nach der Schule warm und duftend mit einer Tasse heißen Kakao servieren. Vielleicht würde  ihn das ein wenig trösten, wenn er enttäuscht nach Hause kam. Es schmerzte sie, daran zu denken, dass er von den anderen sicherlich keine Nikolaussäckchen bekommen würde – vermutlich nicht mal ein Einziges.
Am Nachmittag standen die noch warmen Plätzchen und der Kakao auf dem Tisch bereit. Als sie die Kinder kommen hörte, sah sie zum Fenster hinaus. Und da waren sie – lachend und vergnügt wie immer. Und wie immer ging Karl ein Stück hinter ihnen. Seine Hände waren leer. Er ging ein wenig schneller als sonst. Sie rechnete fest damit, dass er sofort zu Weinen anfangen würde, sobald er im Haus war. Sie ging zur Haustür, um sie für Karl zu öffnen, während sie mit ihren Tränen kämpfte.
"Ich habe Plätzchen und Kakao für Dich, Karl", sagte sie, als sie ihm die Tür öffnete. Karl aber hörte kaum was sie sagte. Mit leuchtenden Augen stürmte er herein und rief:
"Nicht ein Einziges! Nicht ein Einziges!"
Sie fühlte die Enttäuschung in sich aufsteigen.
Und dann fuhr Karl lächelnd fort:
"Nicht ein Einziges habe ich vergessen! Nicht ein Einziges!"
(leicht abgewandelt. Aus "Mehr Hühnersuppe für die Seele'; Arkana Vlg; 2001)
Weihnachten 2020

Es war einmal ein Herz…
 
…das schlug 100.000 Mal am Tag – nicht mehr und nicht weniger. Es schlug nun einmal so viel wie es nötig war: Es war nicht von der gleichen feuerroten Farbe wie all die anderen Herzen, sondern besaß nur ein schwaches Blassrosa. Das Schlimme war, dass es mit der Zeit immer mehr an Farbe verlor: Der Lebenskampf hatte es geschwächt und obwohl es noch nicht sehr alt war, hatte es schon viele Falten.
Eines Tages war es auf die Idee gekommen, einen Verschlag um sich herum zu bauen. So suchte es den härtesten Stein für die Wände, das massivste Holz für das Dach und den stärksten Stahl für die Tür. Nur so, dachte das Herz, konnte niemand mehr hinein zu ihm und es verletzen – niemand konnte es mehr zerreißen. Endlich war es sicher. Nun saß das kleine Herz in seinem Verschlag, lugte hinaus durch die Fugen im Stein und hörte über sich das Knacken des Holzes. Da dachte sich das Herz:
 
‚Es ist hier ziemlich dunkel und kalt!‘
 
Aber es schloss einfach die Augen und tat, was es immer tat – schlagen, 100.000 Mal am Tag. Vor lauter Langeweile zählte das Herz jeden Schlag mit, bis es dessen überdrüssig wurde. So vergaß es manchmal einen Schlag zu tun.
Das Herz fragte sich:
 
‚Was hat es da überhaupt noch für einen Sinn zu schlagen?‘
 
Was das Herz vergessen hatte, war, dass es sich zwar in Sicherheit vor allem Bösen befand, es niemand mehr verletzen und enttäuschen konnte, dass aber auch niemand mehr hineinkommen würde, der mit ihm lachte, jemand, der Purzelbäume mit ihm schlagen würde und es wärmte.
 
Es fing das Herz an über seine Situation nachzudenken und stellte fest einen fatalen Fehler begangen zu haben. Da stemmte es sich mit aller Kraft gegen die Stahltür, doch sie war zu schwer, als dass sie sich bewegen ließ. Es begann gegen die Steinwände zu hämmern, doch der Stein war zu gewaltig. Als es sich am Dach zu schaffen machte, zog es sich lediglich einen dicken Splitter ein.
 
Panik überkam das Herz in seinem selbstgebauten Gefängnis und begann immer schneller zu schlagen.
 
‚Wo war nur der verflixte Schlüssel‘
 
- wie konnte es das vergessen haben? Wie gern würde es sich jetzt den Stürmen des Lebens hingeben - selbst, wenn es sich vor Angst zusammenkrampfen würde – wie gern würde es jetzt vor Freude hüpfen, wenn es nur könnte.
 
Wieder schaute es durch die Fugen hinaus in die Welt und sah andere Herzen. Einige waren blass wie es selbst, schlichen durch’s Leben, geduckt und allein, andere, feuerrot, sprangen Hand in Hand über Stock und Stein, unerschrocken und gestärkt vom anderen. Doch was das Herz dann sah, ließ es erzittern und es begann zu weinen.
 
Es sah Herzen im Staub liegen, mit Füßen getreten. Sie waren weiß und regten sich kaum noch. Sie schlugen vielleicht noch 20 Mal am Tag. Niemand kümmerte sich um sie, denn auch sie hatten einmal den Schlüssel ihres Gefängnisses so gut versteckt, dass sie ihn nicht mehr finden konnten.
 
Das Herz erkannte zum ersten Mal, dass es ihm doch gar nicht so schlecht ging. Noch war es rosa, noch fühlte es etwas. Es musste nur diesen Schlüsseln wiederfinden zu seiner Stahltür. So machte es sich auf die Suche und probierte sogar Schlüssel, von denen es von Anfang an wusste, dass es die Falschen waren. Nach einiger Zeit merkte das Herz, dass es wieder einen Fehler begangen hatte. Es war zu unüberlegt, ja, krampfhaft, an die Sache herangegangen. Es verstand mit einem Mal, dass man das Glück nicht erzwingen konnte.
 
‚Frei ist man nur, wenn man frei denken kann‘, dachte es bei sich.
 
Da entspannte sich das Herz etwas und blickte in den Spiegel. ‚Du bist blassrosa, Du bist faltig‘, dachte es bei seinem Anblick. ‚Ja, das ist so, im Moment‘, sinnierte es weiter und langsam begann es, sich so anzunehmen wie es war: ‚Blassrosa und faltig‘.
 
Mit einem Mal spürte es eine wohlige Wärme in sich aufsteigen und eine innere Gewissheit, dass es auf seine Art und Weise wunderschön war. So fing es an zu singen. Erst zaghaft, leise, doch bald schon immer lauter und heller, bis es ein klares Zwitschern, wie das der Vögel am Himmel, war. Durch den hellen Ton begann der Stein an einer Stelle nachzugeben und dort kam ein goldenes Schimmern zum Vorschein. Das Herz traute seinen Augen kaum: Da war der Schlüssel und es erinnerte sich, wie es sich damals soooo sicher war den Schlüssel nie wieder zu brauchen, dass es ihn mit eingemauert hatte.
 
Es nahm den Schlüssel und schob in langsam und voller Bedacht in das Schloss, um ihn ja nicht abzubrechen. Dann drehte es ihn vorsichtig: Das Schloss klickte leise. Mit lautem Gequietsche öffnete sich die dicke Stahltür. Zaghaft trat das Herz vor die Tür, die Augen wegen dem hellen Licht noch geschlossen und atmete ein paar Mal tief ein und aus. Dann öffnete es langsam die Augen, begann sich zu drehen und zu wenden, blickte nach oben nach unten, horchte mal hierhin, mal dorthin und dachte bei sich:
 
‚Wie ist das Leben doch schön!‘
 
Dann machte es sich auf den Weg neue Freunde zu finden.
 
Der erste, den es traf, war ein lustiger Gesell, der das Leben zum Schießen komisch fand und über 1000 Freunde hatte. Sie stellten gemeinsam alle nur erdenklich lustigen Sachen an, doch bald merkte das Herz, dass diesem „Freund“ etwas Wichtiges fehlte: Tiefgang!
 
‚Was ist das nur für ein Freund, mit dem man nur lachen, aber nicht weinen kann‘, dachte es bei sich, ‚der mit einem nur durch „dick“ aber nie durch „dünn“ gehen würde?
 
So zog das Herz, zwar allein, aber reich an Erfahrungen, weiter.
 
Eines Tages stieß es auf eine Gruppe anderer Herzen und wurde sofort freundlich in ihrer Mitte aufgenommen. Was für ein schönes Gefühl. Da war nun eine Gruppe, wie eine Familie, die zusammenhielt, wo alle gleich waren. Jeden Morgen standen sie zusammen auf, tranken den gleichen Tee, aßen vom gleichen Brot und gestalteten jeden Tag gemeinsam. Lange Zeit fühlte sich das Herz richtig wohl, doch dann spürte es, dass auch dies nicht der Weisheit letzter Schluss sein konnte. Etwas schien zu fehlen: Individualität!
 
In ihrer Mitte gab es keinen Platz für jemanden, der eigenständig war, anders dachte als sie, sein Leben eigenverantwortlich planen wollte. Also verabschiedete sich das Herz von dieser Gruppe und begann sein eigenes Leben zu genießen.
 
Es ging über ungezählte Wege, folgte endlos vielen Kurven, durchstreifte Berge und Täler, bis es an einem Haus ankam das mit Stacheldraht umzogen war. Aus dem Schornstein quoll Rauch, das hieß, dass tatsächlich jemand in diesem Haus leben würde – in einem Haus, das nicht mal Fenster hatte. Das kam ihm bekannt vor. Hatte es sich nicht auch mal völlig eingeschlossen?
 
Das Herz besorgte sich eine Drahtschere und versuchte den Stacheldraht zu durchtrennen, doch bald schon verließen es die Kräfte. Auch dieses Herz hatte keine Mühe gespart, den stärksten Draht zu finden. Obwohl es das Herz nicht sah und auch nicht hörte, sondern nur ahnen konnte, was das für ein Herz war, fühlte es eine starke Bindung zu ihm. So grub es ein Loch unter dem Stacheldraht durch und setzte sich vor die Stahltür, um dem Anderen wenigsten nahe zu sein. Hier begann es von dem eigenen Haus, der eigenen, gleichdicken, Stahltür zu erzählen. Tagelang war es einfach nur da und redete. Irgendwann hörte es von drinnen, hinter der dicken Tür, ein Schluchzen. Unermüdlich erzählte es weiter von ihrem lustigen ersten Freund, über die Wärme, die es bei der Familie erfahren hatte. Während es so redete, kam von innen ein leises Glucksen, das sich mehr und mehr in ein herzliches Lachen verwandelte. Da sprach das Herz hinter der Stahltür:
 
„Ich möchte dich sehen, ich möchte dich begleiten, möchte mich an deine Schulter anlehnen, möchte mit Dir mehr von dem Lachen und Weinen sehen.“
 
Das Herz war glücklich endlich so ein Herz gefunden zu haben, doch was tun? Es hatte keinen Schlüssel und wie es selbst einmal, konnte das andere Herz drinnen den Schlüssel nicht mehr finden. Da versprach es, loszugehen und den Schlüssel zu suchen.
 
Nur, wo sollte es anfangen? Es lief los, suchte hinter Büschen und Sträuchern, tauchte in Seen danach, drehte jeden Stein um,  fragte jeden, den es traf, doch niemand wusste Rat und nirgendwo war der Schlüssel zu finden. So ging es enttäuscht zurück zum Haus, um die schlechte Nachricht zu überbringen, doch zu seinem Erstaunen war der Zaun verschwunden, die schwere Stahltür weit geöffnet. ‚Wie konnte das sein?‘
 
Plötzlich hörte es eine freundliche, liebevolle Stimme hinter sich und als es sich umdrehte sah es dort ein kleines, blassrosa Herz mit glühenden Wangen stehen.
 
„Ich hab auf Dich gewartet“, sagte das kleine Herz. „Als du fort warst, habe ich erkannt, dass ich es nur eigener Kraft schaffen kann, aus meinem selbst errichteten Gefängnis raus zu kommen. Durch deine Liebe zu mir, deine wärmenden Worte, deine Geduld, habe ich den Schlüssel zur Tür meines Herzens wiedergefunden, der mir gleichzeitig die Tür meines Verlieses öffnete.“
 
So nahmen sich die beiden Herzen bei der Hand und gingen von nun an alle Wege gemeinsam, ihr Herzschlag im gleichen Rhythmus bis an ihr Lebensende.

 
Aus dem Internet:
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